Schadet es einer Beziehung, wenn man zu genau hinschaut?
Während des mehrjährigen Entstehungsprozesses unserer Bücher wurden wir mit der Haltung, die sich hinter dieser Frage verbirgt, im Bekanntenkreis immer wieder konfrontiert. Interessanter Weise wurden diese Bedenken bzw. Sorgen aber selten so eindeutig und direkt formuliert. Sie waren eher indirekt – zwischen den Zeilen – zu spüren und drückten sich eher in einer gewissen Zurückhaltung aus, sich mit unseren Themen und Texten intensiver auf persönlicher Ebene zu befassen.
So ganz aus der Luft gegriffen scheint also diese Frage nicht zu sein.
Ein Risiko könnte man darin sehen, dass ein intensiveres Analysieren der eigenen Beziehung ein gut eingespieltes System (ver)stören könnte. Fragen und Gespräche könnten Dynamiken in Gang setzen, deren Verlauf und Ergebnis nicht wirklich vorhersehbar wären. Warum sollte man so etwas ohne triftigen Grund tun?
Etwas weiter gedacht stände die konkrete Sorge im Raum, dass ein Bewusstmachen von eventuellen Defiziten und Schwächen, die bisher erfolgreich unter den Teppich gekehrt wurden, für beide Partner zu Unbehagen oder gar (Selbst)Zweifeln führen könnten. Warum also einen Finger in eine gut verheilte (oder überpflasterte) Wunde legen?
Viele Menschen führen ein ausgefülltes und anstrengendes Leben mit vielen Herausforderungen und Belastungen. Sich dabei auf eine halbwegs befriedigende, für die Alltagsbewältigung funktionale Beziehung stützen zu können, ist für viele eine geradezu notwendige Voraussetzung.
Warum sollte man an diesem Fundament ohne Not rütteln?
Das scheinen überzeugende Gründe dafür zu sein, die Lupe beiseite zu legen und das Beziehungsleben ununtersucht und unangetastet zu lassen.
Warum haben wir trotzdem ein Buch geschrieben, in dem wir sehr gründlich und differenziert erfassen, in welchen Bereichen die eigene Beziehung mehr (oder eben weniger) zur Gesamtzufriedenheit beiträgt?
Tatsächlich sehen wir nicht nur die gerade erwähnten Risiken, sondern auch eine Reihe von Vorteilen und Chancen.
Wenn wir uns anschauen, aus welchen Quellen am ehesten unsere Beziehungszufriedenheit stammt, stoßen wir – ganz automatisch – auch auf die Stärken unserer Beziehung, und zwar auch auf solche Stärken, die uns im Alltagsleben oft gar nicht bewusst sind. So könnten wir z.B. immer wieder bedauern, dass die Romantik abhandengekommen ist (was ja durchaus stimmen mag), dabei aber übersehen, wie sehr unsere Partnerschaft von Verantwortung und Fürsorge geprägt ist.
Wäre es wirklich ein Nachteil, das zu erkennen – und sich dann darüber freuen zu können?
Aber schauen wir ruhig mal auf die Schwächen: Führt es wirklich nur zu Verdruss, wenn ich mir bestimmte Mangelzustände (die ich ja sowieso diffus im Untergrund spüre) mal intensiver anschaue?
Oder ist verschafft nicht gerade das Erkennen und Benennen der kritischen Bereiche die Voraussetzung dafür, diese Punkte auch zu besprechen und zu verändern?
Wer würde denn z.B. ernsthaft dafür plädieren, sich mit dem chronischen Leistungsverlust seines Autos einfach abzufinden, weil eine Werkstattdiagnose ja zutage bringen könnte, dass die Einspritzpumpe verstopft ist?
Das Bild verhilft auch noch zu einem weiteren Gedanken: Wollen wir warten, bis die verstellte Einspritzpumpe den Motor ruiniert? Ist es also wirklich so klug, ganz bewusst die kleinen Ärgernisse und Enttäuschungen des Beziehungslebens unbeachtet zu lassen? Wollen wir die Chance verpassen, durch die Bearbeitung eines eher kleinen Konflikts eine zunehmende Entfremdung zu verhindern?
Was ist mit dem Plädoyer, auf keinen Fall an etwas zu rütteln, was doch halbwegs funktioniert („never change a running system“)? Das wäre ein durchaus stichhaltiges Argument, wenn eine Partnerschaft sich in einem inneren und äußeren Umfeld befände, in dem absolute Stabilität herrschte: Es gäbe also ein dauerhaftes Gleichgewicht, in dem weder die beteiligten Menschen, noch die umgebende Gesellschaft, noch private und berufliche Anforderungen, noch das Klima (usw.) sich verändern würden. Das wäre eine ziemlich abwegige Beschreibung unserer Lebensrealität.
Man könnte also sagen: Gerade wenn wir unsere Beziehung als festen Anker in einer schnelllebigen Zeit bewahren wollen, die auch von aus radikale psychische Anpassungen verlangt, wären wir gut beraten, unsere Beziehung flexibel und anpassungsfähig zu erhalten. Eine aktive und offene Auseinandersetzung mit den Stärken und Schwachpunkten kann das sicher eher gewährleisten als ein ängstliches Wegschauen.
Die bisherige Argumentation klingt ein wenig „kopflastig“, auf Kosten und Nutzen ausgerichtet. Daher noch ein letzter, eher emotionaler Punkt:
Viele Menschen sind einfach neugierig, interessiert an den Prozessen der eigenen Psyche und den Dynamiken des Zusammenlebens. Für sie ist es ein Vergnügen, sich Dinge bewusst zu machen, Zusammenhänge zu verstehen und Wege auszuprobieren, den – vielleicht schon ganz befriedigenden – Zustand noch zu verbessern. Nicht weil sie sich einem Optimierungswahn unterwerfen, sondern weil sie gerne in einer lebendigen, auf Weiterentwicklung orientierten Partnerschaft leben und diese im offenen Austausch gemeinsam pflegen und genießen wollen. Dabei nehmen sie punktuelle Irritationen in Kauf, weil sie überzeugt sind, dass ein flexibles, in Bewegung befindliches System nicht nur die Lebensaufgaben besser bewältigen kann, sondern man sich darin auch lebendiger fühlt.
Darum haben wir unsere Bücher geschrieben.
Und trotzdem haben wir Verständnis und Respekt gegenüber den Paaren, die ihren Beziehungs-Schatz lieber gut geschützt im Tresor liegen lassen. Wir sind sogar sicher, dass sie damit in vielen Fällen die richtige Entscheidung für ihre Situation fällen.
In Buch II...
… („Beziehungsflück tanken“) untersuchen wir Ihre Beziehung tatsächlich sehr gründlich: auf 18 Dimensionen, in sechs Faktoren zusammengefasst.
Dabei geht es aber keineswegs um ein verbissenes „Punktesammeln“. Wir machen deutlich, dass jede Beziehunsphase ihren eigenen Wert und ihren typischen Maßstab hat.
Und wie immer in unserer Reihe ist der erfasste „IST-Zustand“ nur der Ausgangspunkt für eine Reise , die zu einer größeren Zufriedenheit führen soll.
Um in unserem Bild zu bleiben: Sie sollen durch die Anregungen dieses Buches ihre Möglichkeiten verbessern, einen möglichst gut gefüllten „Zufriedenheits-Tank“ klug und umsichtig zu bewirtschaften.
Welche Erfahrungen haben Sie mit dem Versuch gemacht, die eigene Beziehung (allein oder gemeinsam) unter die Lupe zu nehmen?
Hat es für Sie eher Schaden oder Nutzen gebracht (kurzfristig bzw. langfristig)?
Schreiben Sie Ihre Meinung in unser Forum (zu Band II)!